Benedict Furness hat sich ein Thema aus einem Kurs im Biologiestudium in Form eines Videos zur Herzensangelegenheit gemacht: Plant Blindness. Pflanzenblindheit beschreibt die menschliche Unfähigkeit, Pflanzen zu registrieren. Bei einem Brennnesseltee aus dem Einmachglas erklärt er, was es damit auf sich hat.
FYTA: Sag mal, Benedict, Pflanzenblindheit, das klingt auf Anhieb ganz schön absurd.
Benedict Furness: Ja, ich dachte auch zuerst, was soll das denn sein? Ist doch klar, dass Pflanzen nicht sehen können! [lacht] Ein Professor hatte den Begriff am Ende einer Vorlesung in den Raum geworfen, als Wegzehrung sozusagen. Mich hat das neugierig gemacht, ich hab mich in die Bibliothek gesetzt und nachgeschlagen. Es ist wirklich ein Begriff, der in der Wissenschaft zirkuliert. Und je mehr ich darüber gelesen habe, desto mehr habe ich gemerkt: Ich bin total davon betroffen!
Interessant! Wie erlebst du deine Pflanzenblindheit?
Naja, wenn ich zum Bus laufe achte ich zum Beispiel nicht auf die Bäume, an denen ich vorbei gehe. In meinem Studium beschäftige ich mich zwar intensiv mit Pflanzen, aber in meinem täglichen Leben schenke ich ihnen – wie die meisten Menschen – kaum Beachtung.
Aber das ist doch irgendwie auch normal? Wenn wir an jeder Pflanze stehen bleiben, fährt der Bus ohne uns ab.
Naja, klar. Sein Leben damit zu verbringen, in die Baumkronen zu gucken, Straßenschilder und Fahrpläne zu ignorieren, ist sicher nicht die effektivste Überlebensstrategie in der westlichen Gesellschaft. Und klingt für viele sicher schlicht verrückt. Aber bei all den Dingen, die uns ständig ablenken, bei all den Geräuschen, dem Piepen, Summen, dem Blaulicht, das aus unseren Taschen strahlt – da ist es doch nicht zu viel verlangt, unsere Aufmerksamkeit etwas Natürlichem zu widmen. Damit wir der Natur, in der wir leben, wieder näher sind. Da schläft man am Ende auch viel besser als mit jeder Smartphone App!
Verstehe. Was unternimmst du also gegen deine eigene Pflanzenblindheit?
Ich zähle mittlerweile die Pflanzen, an denen ich vorbei gehe, ich versuche mich da regelrecht zu trainieren. Ich zeichne sie auch. Und ich bin einfach dankbarer für das, was sie für uns leisten. Es gibt so viele Möglichkeiten, ein bisschen was an der eigenen Pflanzenblindheit zu ändern. Man kann gucken, ob es einen Urban Garden in der Nähe gibt, bei dem man mitmacht. Oder einfach herausfinden, wie man die Pflanze zu Hause nicht umbringt.
Wie hast du das Video eigentlich produziert?
Das ist in einem Kurs entstanden, in dem es darum ging, mit digitalen Bildern Wissenschaft zu kommunizieren. Das Thema hieß: das Unsichtbare sichtbar machen. Da bot sich Pflanzenblindheit natürlich perfekt an. Ich sollte möglichst viel eigenes Material produzieren. Den Text habe ich erst aufgeschrieben, mich dann vor den Spiegel gestellt und vierzig Minuten lang alles rausgehauen. Das war ein ganz schönes Geschnibbel, alles zu kürzen und die Teile dann zusammenzufügen.
Na, es hat sich gelohnt! Du stellst in dem Video einen wissenschaftlichen Erklärungsversuch für Pflanzenblindheit an. Kannst du das noch mal genauer erklären?
Zum einen könnte man sagen, dass wir eine Art Evolutionskater haben. Studien haben gezeigt, dass Pflanzenblindheit bei Männern stärker vertreten ist als bei Frauen. Das entspricht der Rollenverteilung in archaischen Gesellschaftsformen. Männer haben gejagt, Frauen haben aktiv nach bestimmten Pflanzen Ausschau gehalten, um sie zu sammeln. Es gibt also eine biologische Komponente. Außerdem stellen Pflanzen keine direkte Bedrohung dar, das trägt noch dazu bei, dass wir nicht auf sie achten.
Die andere Erklärung ist, dass unsere eigene Kultur zur Pflanzenblindheit beiträgt. Vor allem im Westen ist unsere Interaktion mit Pflanzen gebrochen, wie verkleidet. Unsere Umgebung zum Beispiel nennen wir im Englischen einen Dschungel aus Beton.
Ja, Sprache spielt vielleicht auch eine Rolle. Viele Pflanzen können wir gar nicht benennen und nehmen sie deswegen vielleicht weniger wahr. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat es mal so ausgedrückt: “Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.”
Das ist sehr schön gesagt! Und stimmt wahrscheinlich auch. Ich halte es mit Cicero. Der hat gesagt: Wenn du eine Bibliothek und einen Garten hast, hast du alles was du brauchst.
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