WENN PFLANZEN UNTER DIE HAUT GEHEN


Nastia Zlotin begeistert ihre Fans mit surrealen Pflanzenmetamorphosen und anatomisch korrekten Zeichnungen. Wir wollten mehr über die in Berlin lebende Tattoo-Künstlerin erfahren und haben uns mit Nastia über ihre Liebe zu Pflanzen und Tattoos unterhalten. Ein Artikel von Elea Pleiner

Nastia kommt aus der Ukraine und ist in Israel aufgewachsen. Weil der Staatsdienst dort nicht ihr Ding war und sie sich lieber auf ihre Karriere als Tattoo-Artist konzentrieren wollte, hat es sie mit ihrem Mann vor fünf Jahren nach Berlin verschlagen. Auch, weil sie sich nach einer Atempause sehnte.

Excuse us? Hauptstadt und Ruhe? Das mag für manche Menschen etwas twisted klingen, aber Berlin ist für Nastia ein inspirierender Ruhepol: “Alles im Leben besteht aus Vergleichen – im Vergleich zu Bangladesch ist Tel Aviv eine sehr ruhige Stadt. Doch im Vergleich zu Berlin ist Tel Aviv sehr hektisch. Und das Leben ist auch etwas mehr easy going in Berlin.”

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Tattoos gegen die Winterdepression

Wenn Nastia über Natur und Plant-Love spricht, wird ihre Leidenschaft so greifbar, dass man fast Blumenblätter rascheln hört. Pflanzen waren zwar schon immer ein wichtiger Teil ihres Lebens, aber seit sie in Berlin lebt, hat ihre Leidenschaft ein ganz neues Level erreicht. Sie braucht Pflanzen, wie die Luft zum Atmen, sowohl zu Hause als auch im Studio.

Schuld daran ist der Berliner Winter. Denn während Nastia in Israel das ganze Jahr über von Farben und grünen Blättern umgeben war, erlebte sie in Berlin zum ersten Mal das deutsche Kontrastprogramm: “In Israel ist einfach das ganze Jahr über grün und dass ist dir noch nicht einmal bewusst. Doch nach dem ersten Winter in Berlin verfiel ich in eine Winter-Depression: Alles war so grau.”

Von dieser Erfahrung hat sie sich aber nicht runterziehen lassen. Im Gegenteil, sie diente als Inspiration für ihre Arbeit. Nastias Liebe zu Farben bestand schon vor dem Umzug in den Norden: “Ich wusste direkt von Anfang an, als ich gerade erst mit dem Tätowieren angefangen hatte, dass ich farbige Tattoos machen möchte. Ich liebe Farben. Für mich ist ein Leben ohne Farben kein Leben.”

Die triste Berliner Winterlandschaft hat sie dann aber dazu bewegt, Farben und Naturmotive zu verbinden: “Von da an begann ich Pflanzen in meine Kunst zu integrieren, um die Welt ein bisschen grüner zu machen.” Heute wirken ihre Tatoos wie ein Gegenentwurf zur Winterdepression: saftige Farnblätter, überbordende Blüten und verschlungene Pflanzenstängel kommen in bunten Anordnungen zusammen.

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Plant-Storys, verewigt auf der Haut

Das Interesse an Tattoos war bei Nastia schon im zarten Alter von sieben Jahren voll ausgeprägt. Sie war fasziniert von Body Modifications und Tattoos und begeisterte sich für jegliche Art von Kunst auf der Haut. Daran hat sich bis heute nichts geändert: “Ich liebe es, wenn die Blumen und Blätter sich auf den Körpern meiner Kund:innen bewegen – wie auf einer lebendigen Leinwand.”

Einige von Nastias Kund:innen kommen mit ihrer ganz persönlichen Pflanzen-Story zu ihr. Eine hatte etwa den Wunsch, alle ihre Lieblingspflanzen in einem half-sleeve Kunstwerk zu vereinen – darunter grüne Mitbewohner, die sie vom Setzling bis heute begleitet haben. Solche Aufträge jagen Nastia einen wohligen Schauer über den Rücken: “Es war ein richtig tolles Projekt, sie hat mir Bilder all ihrer Pflanzen geschickt. Manche hat sie bereits seit Jahren und eine ganz besondere Verbindung zu ihnen aufgebaut. Ein solches Herzensprojekt macht aber natürlich besonders viel Spaß.”

Zu ihren farbexplosiven Pflanzenkreationen gesellen sich häufig auch Tiere. Sie selbst spricht von sich als Supposed-to be-nature-Girl. Immer wenn sie zum Bleistift greift, entstehen naturverbundene Motive wie Tiere und Pflanzen. Oft erwacht beides auf der Haut ihrer Kund:innen zum Leben: Leoparden schauen geheimnisvoll hinter Schmetterlingsmasken hervor, Hunde integrieren sich nahtlos in Obst-Bouquets.

Für Nastia ist ein Leben mit Pflanzen kein vorübergehender Trend, sondern etwas das tief unter die Haut und bis zur menschlichen Seele reicht: “Ich bin der Meinung: Die Liebe zur Natur und zu Pflanzen im Speziellen ist Teil unserer DNA. Wir können und sollten nicht leben, ohne von Grün umgeben zu sein. Besonders die jüngere Generation, die viel Zeit von dem Bildschirm verbringt, vermisst die Natur tief im Herzen.”

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Mit Pflanzen verheiratet

Im Laufe der Zeit hat Nastia etwa 60 Pflanzenmitbewohner um sich versammelt. Weil ihr Mann gerne auch noch etwas Platz in der gemeinsamen Wohnung hätte, versucht er sie, meist vergeblich, an allen Pflanzenshops vorbeizulotsen. “Man beginnt mit einer Pflanze. Dann kauft man die nächste. Es ist wie eine Obsession. Ich bin diese Person, die heimlich, ohne dass ihr Mann es mitbekommt, die nächste Pflanze ins Haus schmuggelt. Es fällt mir schwer, an einer Pflanze vorbeizugehen, wenn ich mich bereits bei Betreten des Ladens in sie verliebt habe. Es ist eine Art Vibe, der dann zwischen dir und der Pflanze entsteht. Ich kaufe spontan und nach Gefühl, ich bin keine Pflanzen-Jägerin.”

Sie selbst sagt, ihre Augen freuen sich beim Anblick von Pflanzen (russ. Sprichwort). Sie nutzt die Zeit mit ihren grünen Seelenverwandten sehr intensiv und bewusst. Ohne Handy, ohne Musik – nur sie und ihre Pflanzen, eine Art meditatives Gärtnern, um mit der Natur zu verschmelzen und diese Verbindung mit allen Sinnen zu spüren. Dieses Verhältnis zur Natur ist auch ein Grund dafür, weshalb Nastia und ihr Mann sich auschließlich vegan ernähren.

“Jede:r echte Plant-Lover, der:die etwas auf sich hält, hat mindestens eine Calathea auf dem Gewissen. Ich liebe diese Pflanzen und hasse sie gleichermaßen. Sie sind so wunderschön, aber es ist auch immer wieder traurig, wenn sie sich verabschieden und man nur mit der Frage zurückbleibt: Was habe ich dieses Mal wieder falsch gemacht?” Wir sagen an dieser Stelle: Gar nichts Nastia, die Wege einer Diva sind unergründlich und auch wir können von Queen Calathea nicht genug kriegen.

Für alle Stadtmenschen die noch nicht auf den grünen Trichter gekommen sind, hat Nastia eine klare Botschaft: “Umringt euch mit Pflanzen, es wird euch glücklicher machen!” In der Wohnung und auch auf der Haut.

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